In Gemeinwohl investieren

Nachricht 04. Oktober 2022

Wie wir Wohlstandsverlusten begegnen können. Von Prof. Dr. Berthold Vogel

Prof. Dr. Berthold Vogel (Foto: Michael Zapf)

Zwei Jahre Pandemie und seit Februar der Krieg in der Ukraine zeigen: Wir müssen unser Verständnis von Wohlstand grundlegend neu bestimmen und in Gemeinwohl investieren! Es ist höchste Zeit, dass wir den Begriff des Wohlstands aus dem engen Korsett ökonomischen Denkens befreien – und um das Gemeinwohl bereichern. Öffentliche Güter, demokratische Freiheit und Sicherheit müssen zentrale Indikatoren des Wohlstands werden.  Wohlstand ist mehr als Konsum, mehr als Wertpapiere oder Konjunktur. Wohlstand ist auch ein Privileg, sicher und frei von Angst leben zu können, physisch und sozial.

Pandemie, Krieg und Klimakrise führen uns die Verwundbarkeit unserer
Gesellschaft vor Augen. Sie machen uns klar, wie wichtig funktionierende
öffentliche Infrastrukturen, wie zentral Gesundheits-, Bildungseinrichtungen,
Verwaltungen und unser Rechtssystem für ein funktionierendes  Gemeinwesen sind. In Anbetracht von Inflation, Energiekrise und  Versorgungsunsicherheit stehen wir vor einer Eskalation der Wohlstandsverluste – und damit der Zuspitzung der sozialen Frage. Statt jedoch ausschließlich von Verzicht zu reden, der im Hinblick auf die  ökologische Krise sinnvoll ist, sollten wir intensiver über Investitionen  sprechen. Aus Krisen und Kriegen lernen, heißt investieren – in den Wohlstand aller über das Gemeinwohl.

Vom Gemeinwohl profitieren alle
Letztlich profitieren alle in der Gesellschaft, kollektiv und nicht nur  individuell, wenn wir über funktionsfähige öffentliche Institutionen und  Infrastrukturen verfügen. Gute Schulen, Krankenhäuser,  Altenpflegeeinrichtungen oder öffentliche Schwimmbäder gehören für mich  auch zur Armutsprävention.

Hauptnutznießer solcher öffentlichen Güter sind diejenigen, die am stärksten von Wohlstandsverlusten betroffen sein werden und daher auf öffentliche Leistungen besonders angewiesen sind. Hier geht es auch um die Rückbesinnung auf die Ideen des Sozialstaats und den Gedanken
von »einer trage des andern Last«. Diesen sozialen Zusammenhalt über die sozialen Sicherungssysteme und öffentlichen Güter müssen wir durch Investitionen stärken. Gerade jetzt.

Mehr Geld für öffentliche Güter helfen uns auch dabei, Wirtschaft und  Gesellschaft klimagerecht umzugestalten. Kollektiver Verzicht wird nötig  sein. Anders ist die ökologische Transformation nicht zu bewerkstelligen, da wir bereits am Limit leben. Doch wir können die Rahmenbedingungen so ändern, dass individueller Verzicht möglich ist – und wir sogar an  Lebensqualität gewinnen. Etwa, indem wir ein eng getaktetes Bus- und  Bahnsystem haben, das den Kollaps des Individualverkehrs vermeidet und  so jede und jeder Lebenszeit gewinnt. Das muss das Ziel sein: Uns für die öffentlichen Dinge stark zu machen, von denen wir als Gesellschaft  insgesamt profitieren.

„Die Welt im Umbruch. Wohlstand neu denken“. Der Klimawandel, die Corona-Pandemie und der Angriffskrieg auf die Ukraine stellen uns vor bisher nicht vorstellbare Herausforderungen. Wir wenden uns in unserem neuen Jahrbuch konkreten Handlungsfeldern zu und entwerfen Perspektiven, um Wohlstand mehrdimensional zu erfassen. Dabei orientieren wir uns an den drei Förderschwerpunkten der Hanns-Lilje-Stiftung im Dialog mit Kirche und Theologie:

  • die Bedeutung von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft für das Leben,
  • die Zukunft von Politik und Gesellschaft,
  • die bildende Kraft von Kunst und Kultur.

Möchten Sie das Jahrbuch in gedruckter Form lesen? Schreiben Sie bitte eine Mail an info@lilje-stiftung.de. Wir senden es Ihnen gern zu.