Ulla Schmidt: Sozialer Friede ist wichtiger als die Schwarze Null

Nachricht 17. Mai 2022
Ulla Schmidt (Foto: Jens Schulze)

Aus Sicht der ehemaligen Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt muss die Politik mehr gegen die soziale Spaltung in Deutschland tun. "Das ist wichtiger als die Schwarze Null und eine Schuldenbremse", sagte die 72-jährige SPD-Politikerin und Bundesvorsitzende der Lebenshilfe dem Evangelischen Pressedienst (epd). Mit Investitionen in Bildung sowie in das Gesundheitswesen müsse die solidarische Gemeinschaft gestärkt werden. Schmidt ist am Montag (16. Mai) in Hannover Gast beim Podiumsgespräch "Wohlstand braucht Bildung und Gesundheit. Was lernen wir aus der Pandemie?" der evangelischen Hanns-Lilje-Stiftung.

"Corona hat die Ungleichheiten nicht nur aufgezeigt, sondern auch verschärft", betonte Schmidt. Die Pandemie habe verdeutlicht, dass sich Wohlstand nicht allein an florierenden Aktienmärkten oder am Bruttoinlandsprodukt bemesse. Umfragen bestätigten, dass den Deutschen zwar ein gutes Einkommen wichtig sei, um die Familie zu ernähren und im Alter abgesichert zu sein. "Aber die Mehrheit sagt auch, dass ihnen eine gute Gesundheit, eine intakte Umwelt und sozialer Friede mindestens ebenso wichtig sind."

Die Politik müsse sich daher dringend den Folgen der Lockdowns seit März 2020 stellen. "Die Bundesagentur für Arbeit schätzt die Zahl der Jugendlichen, die seitdem völlig aus dem Blick geraten sind, auf etwa 200.000, doppelt so viele wie vor der Pandemie", betonte Schmidt. Weder gingen sie zur Schule oder Hochschule, noch arbeiteten sie oder seien als arbeits- oder ausbildungssuchend gemeldet. "Wenn wir diese Menschen verlieren, dann sind sie in ein paar Jahren kaum noch in einen Arbeitsmarkt zu integrieren."

Schmidt kritisierte, dass Menschen mit geistiger Beeinträchtigung während der Pandemie besonders gelitten hätten: "Werkstätten wurden geschlossen, Förderangebote ausgesetzt. Den Betroffenen hat das sehr viel abverlangt. Sie werden in der Politik aber kaum je erwähnt". In den Pandemie-Krisenstäben von Bund und Ländern müsse künftig je eine Person die Interessen geistig eingeschränkter Menschen vertreten, forderte Schmidt.

Damit das Gesundheitswesen für alle Bürgerinnen und Bürger attraktiver werde, sprach sich Schmidt zudem dafür aus, das Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung abzuschaffen. "Der Weg in eine Bürgerversicherung wird immer notwendiger, vor allem in der Pflege." Für eine gute Versorgung auch im hohen Alter, etwa im Pflegeheim oder im Hospiz, müsse die Politik außerdem für eine bessere Bezahlung in pflegerischen Berufen sorgen.

(Text: Urs Mundt, Evangelischer Pressedienst Niedersachsen-Bremen, epd)