Wir müssen klimaresilienter werden.

Nachricht 21. November 2022
Flächendeckende und kleinteilige Hitzeschutzpläne, um ältere und kranke Menschen besser vor den Folgen Erderwärmung zu schützen. Das fordert die Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann. (Foto: Jens Schulze)

Ein Gespräch über Klima und Gesundheit mit Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann

Prof. Dr. med. Claudia Traidl-Hoffmann ist Direktorin der Umweltmedizin an der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg und Leiterin des Instituts für Umweltmedizin im Helmholtz Zentrum München

Frau Traidl-Hoffmann, Sie gehören zu den einflussreichsten Umweltmedizinerinnen und -medizinern in Deutschland. In Ihrem Buch »Überhitzt« und in Vorträgen warnen Sie vor den Folgen des Klimawandels für unsere Gesundheit. Dass die Erderwärmung auch in Deutschland zu gesundheitlichen Problemen führt, wird bisher unterschätzt. Woran liegt das?
Prof. Dr. Traidl-Hoffmann: Bei einer Erderwärmung um 1,5 Grad Celsius denken viele: »Na, das ist doch gar nicht so viel«. Sie vergessen dabei jedoch, dass mit diesem durchschnittlichen Temperaturanstieg vermehrt Hitzewellen auftreten werden. Statt mit einer Hitzeperiode im Jahr bekommen wir es künftig mit zehn oder fünfzehn davon zu tun. Schon jetzt werden die Folgen von Hitzewellen in unseren Städten sehr viel stärker spürbar.

Inwiefern?
Traidl-Hoffmann: In Innenstadtlagen sind während einer Hitzephase die Temperaturen zum Teil um fünf oder zehn Grad Celsius höher als auf dem Land. 28 statt 38 Grad Celsius machen einen großen Unterschied. Zur Hitze hinzu kommt noch die Luftverschmutzung, etwa durch den Straßenverkehr, die Abgase und den Gummiabrieb von Autoreifen. Das muss man sich wie einen Chemiebaukasten unter freiem Himmel vorstellen: Ultrafeine Schadstoffpartikel in der Luft reagieren in der Hitze zusammen mit der UV-Strahlung der Sonne. So entstehen sehr schädliche Substanzen, die wir einatmen. Im Ergebnis werden die Menschen in den Städten massiv dar-unter leiden. Die Zahl der Krankheitsfälle wird steigen. Besonders gefährlich wird die Hitze allerdings für ältere und kranke Menschen.

Warum ist das so?
Traidl-Hoffmann: Das hängt mit der Temperaturregelung in unserem Körper zusammen. Um optimal zu funktionieren, brauchen wir eine Körpertemperatur zwischen 36 und 37 Grad Celsius. Diese Temperatur müssen wir halten, sonst funktionieren Körper und Geist nicht mehr. Während einer Hitzeperiode wird das für alte und kranke Menschen zum Problem. Denn: Ihre Körper müssen zwei Dinge gleichzeitig tun, ihre Grunderkrankung in Schach halten und die Körpertemperatur regulieren. Für Menschen mit Niereninsuffizienz, mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Alzheimer-Demenz können Hitzephasen daher lebensge-fährlich werden. Zumal, wenn diese in den überhitzten Innenstädten wohnen.

In Vororten leben eher wohlhabendere Menschen, in Innenstädten eher ärmere Menschen. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Wohlstand und der unterschiedlichen Belastung durch Klimafolgen?
Traidl-Hoffmann: Ja. Das ist die Problematik. Wer wohnt an der viel befahrenen Straße? Wer lebt in den wenig klimatisierten Dachgeschosswohnungen? Das sind eher Menschen mit niedrigem Einkommen. Diese werden stärker vom Klimawandel betroffen sein als diejenigen, die in der grünen Villa draußen auf dem Land wohnen.

Was können wir für einen besseren Gesundheitsschutz tun?
Traidl-Hoffmann: Auf allen Ebenen müssen wir klimaresilient werden, also widerstandsfähig gegenüber den Folgen des Klimawandels. Das bedeutet, endlich präventiv tätig zu werden, damit wir unser Gesundheitssystem nicht überlasten. Das Wichtigste aber: Wir benötigen Hitzeschutzpläne, flächendeckend und möglichst kleinteilig.

Was meinen Sie mit kleinteilig?
Traidl-Hoffmann: Die einzelnen Kommunen müssen beispielsweise wis-sen, wo leben besonders gefährdete Menschen. Etwa die alte, alleinstehende Frau Müller aus der Dachgeschosswohnung in der Bahnhofstraße. Und schließlich müssen die Kommunen dafür sorgen, dass Frau Müller während einer Hitzeperiode in eine kühle Turnhalle gebracht wird.

Solche Pläne gibt es bereits in Frankreich und anderen EU-Staaten. Warum bei uns nicht?
Traidl-Hoffmann: Der Mensch reagiert anscheinend erst, wenn er massiv bedrängt wird. Das hat mit unseren Reflexen zu tun. Wir rennen ja auch nicht los, wenn in China ein Sack Reis umfällt. Und genau so ist das mit den Folgen des Klimawandels und der Hitze. Im Sommer 2003 gab es in Frankreich sehr viele Hitzetote und Bilder wie in Bergamo während der Corona-Epidemie. Leichen stapelten sich in französischen Kühlhäusern. In Deutschland war es damals ebenfalls kritisch. Aber anders als in Frankreich erschienen keine dramatischen Bilder. In Frankreich hat man reagiert, in Deutschland bisher nicht, weil die Gefahr bei uns noch immer verkannt wird.

Eine kleine Umfrage unter stationären Altenhilfeeinrichtungen und Krankenhäusern von Diakonie und Kirche in Niedersachsen hat ergeben, dass es dort bisher kaum oder keine Klima anpassungsmaßnahmen gibt. Was würden Sie den Verantwortlichen gerne zurufen?
Traidl-Hoffmann: Bilden Sie ihre Mitarbeitenden weiter! Berufsgruppen, die sich um alte Menschen kümmern, müssen wissen, welche Gefahren sich durch den Klimawandel und die Zunahme von Hitzeperioden für ältere und kränkere Menschen ergeben und was getan werden muss. Angefangen von kühlen, schattigen Orten bis hin zur Umstellung der Medikamentierung. Denn Medikamente wirken bei Hitze anders. Und: Begeben Sie sich mit ihrer Einrichtung auf den Weg in Richtung Klimaneutralität.

Das bedeutet?
Traidl-Hoffmann: Das Einfachste ist immer die Ernährung. Fleischarme Ernährung ist ein ganz großer Hebel, wo viel für die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner – und viel für den Klimaschutz – getan werden kann. Energie sparen natürlich und auf erneuerbare Energien setzen. Immerhin ist der Gesundheitssektor, in dem auch ich arbeite, einer der größten CO2-Produzenten weltweit. Das müssen wir ändern.

Allerdings ist das mit Investitionen verbunden.
Traidl-Hoffmann: Ja, das kostet, aber es kostet umso mehr, wenn wir die Maßnahmen erst in drei, vier, fünf Jahren angehen. Es fällt uns allen auf die Füße. Und es kostet uns am Ende unser Leben.

„Die Welt im Umbruch. Wohlstand neu denken“. Der Klimawandel, die Corona-Pandemie und der Angriffskrieg auf die Ukraine stellen uns vor bisher nicht vorstellbare Herausforderungen. Wir wenden uns in unserem neuen Jahrbuch konkreten Handlungsfeldern zu und entwerfen Perspektiven, um Wohlstand mehrdimensional zu erfassen. Dabei orientieren wir uns an den drei Förderschwerpunkten der Hanns-Lilje-Stiftung im Dialog mit Kirche und Theologie:

  • die Bedeutung von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft für das Leben,
  • die Zukunft von Politik und Gesellschaft,
  • die bildende Kraft von Kunst und Kultur.

Möchten Sie das Jahrbuch in gedruckter Form lesen? Schreiben Sie bitte eine Mail an info@lilje-stiftung.de. Wir senden es Ihnen gern zu.