Kann Kirche Klima?

Nachricht 04. November 2020
Werner Lemke möchte den Energiebedarf und die CO2-Emissionen der rund 8.000 Gebäude der Hannoverschen Landeskirche senken. (Foto: Jens Schulze)

Ein Gespräch mit Werner Lemke, leitender Baudirektor der Evangelisch- lutherischen Landeskirche Hannovers, über graue Energie, körpernahe Heizungen und Neubauten aus Holz.

Herr Lemke, die hannoversche Landeskirche besitzt rund 8.000 Gebäude. Darunter sind rund 1.660 Kirchen und Kapellen, die vermutlich keine gute Energiebilanz aufweisen. Wissen Sie, wie viel CO2-Emissionen die Kirche jährlich verursacht?

Werner Lemke: Das sind rund hunderttausend Tonnen CO2 im Jahr – allein 78.000 Tonnen aus unserem Gebäudebestand. Das ist – für sich genommen – viel. In Relation zu den 66 Millionen Tonnen Emissionen, die Niedersachsen insgesamt abgibt, ist der Kirchenanteil gering. Dennoch können und wollen wir einen wertvollen Beitrag zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes leisten. Schnelles Handeln ist nötig, um mögliche »Kipp-Punkte« beim Erdklima hin zu einem Heißklima zu verhindern.

Wie will die Kirche trotz der vielen alten Kirchengebäude das Klima schützen?

Lemke: Wir bemühen uns, die Emissionen, die Kirchen verursachen, zu verringern und mit gutem Beispiel voranzugehen. Auf diese Weise können wir andere gesellschaftliche Akteure motivieren, ebenfalls zu handeln. Jedoch sind unsere finanziellen Mittel begrenzt. Das heißt: So schnell können wir leider nicht so viel ändern.

Schon länger werden Kirchen während des Gottesdienstes bis 16 Grad Celsius aufgeheizt. Bei Konzerten sind es – wegen der Stimmung der Instrumente – 18 Grad. Jetzt wollen Sie die Temperatur weiter absenken, auf nur noch 12 Grad.

Lemke: Das schlagen wir, die Architektinnen und Architekten und Umweltbeauftragten der Landeskirchen in Deutschland vor. Denn wir nutzen Kirchen nicht dauerhaft, sondern zu Gottesdiensten und bei anderen Veranstaltungen. Da kann ein einzelner Aufheizvorgang schon mal bis zu 500 Euro kosten. Viel Geld und viel Energie, die wir so verbrauchen und möglicherweise einsparen können.

Womit eine große Einbuße an Behaglichkeit für alle Kirchgänger verbunden wäre.

Lemke: In der Tat. Deshalb wollen wir diese Einschränkung mit einer sogenannten körpernahen Beheizung in einem Teilbereich der Kirche ausgleichen. In Kombination mit einer niedrigeren Nutzungstemperatur können wir eine Energieeinsparung von rund 30 Prozent erzielen.

Körpernahe Beheizung – was ist damit gemeint?

Lemke: Stellen Sie sich eine elektrische Sitzkissenheizung vor oder eine elektrische Strahlungsheizung, die sich unter der Kirchenbank befindet oder von der Decke abgehängt ist. Damit könnten wir – zusätzlich zur Grundbeheizung von 12 Grad Celsius – zumindest für einen Teilbereich der Kirche Behaglichkeit herstellen.

Werden das die Gottesdienstbesucherinnen und -besucher mitmachen?

Lemke: Diese und weitere Fragen lassen wir zurzeit in einem wissenschaftlichen Verbundprojekt von mehreren Forschungsinstituten klären, die derzeit 30 norddeutsche Kirchen untersuchen – unter anderem die Wunstorfer Stadtkirche. Teilen uns die Kirchgängerinnen und –gänger mit: »Bitte macht das nicht. Trotz warmer Kleidung ist uns bei längeren Gottesdiensten deutlich zu kalt.« Oder fühlen sie sich trotz der Temperaturabsenkung wohl. Neben dem Energieeinsparpotenzial und dem Wohlfühlaspekt haben wir dabei das Raumklima im Blick. Wir müssen sicherstellen, dass wertvolle Gemälde oder Altäre durch schnelle Feuchteschwankungen nicht geschädigt werden. Letztlich müssen wir einen stimmigen Dreiklang aus Wohlbefinden, CO2-Reduzierung und schonendem Raumklima herstellen.

Welche Möglichkeiten gibt es noch?

Lemke: Wir können ohne großen Aufwand sehr viel Energie einsparen, wenn die Kirchengemeinden in den kalten Monaten zwischen Epiphanias und Ostern den Gottesdienst aus den Kirchen in die Gemeindehäuser verlagern und die Kirche selbst frostfrei gehalten wird. Das setzt voraus, dass es im Gemeindehaus einen attraktiven Raum für Gottesdienste gibt.

Und wenn nicht?

Lemke: Kirchengemeinden könnten sich überlegen, ob sie einen sogenannten Winterkirchenraum in die Kirche einbauen lassen. Während die eigentliche Kirche eine Temperatur von vielleicht vier Grad hätte, könnte der kleine Winterkirchenraum auf 18 Grad Celsius temperiert werden. Dafür gibt es schöne Beispiele, wie etwa in der Liebfrauenkirche in Moringen.

Was gefällt Ihnen daran?

Lemke: Dort sitzen die Gottesdienstbesucher nicht in einem gewöhnlichen Gemeindehaus, sondern genießen den Blick in die schöne Kirche. Zudem kann der neue Raum unter der Empore mehrfach genutzt werden. Wenn auch ein Büro, eine WC-Anlage und eine Teeküche eingebaut werden, kann das alte Gemeindehaus veräußert werden.

Mit den schwindenden Mitgliedern schwinden auch die finanziellen Möglichkeiten. Liegt im Schrumpfungsprozess eine Chance für den Klimaschutz oder reduziert das die Möglichkeiten?

Lemke: Die Landeskirche muss Gebäude abgeben, um mit dem geringeren Kirchensteueraufkommen haushalten zu können. Davon profitiert das Klima. Denn Reduktion bedeutet weniger Räume, die unterhalten und beheizt werden müssen. In Moringen (Kirchenkreis Leine-Weper) oder Flegessen (Kirchenkreis Hameln-Pyrmont) haben Gemeinden sich von Häusern getrennt und diese verkauft. Das Geld haben sie in eine klimafreundlichere, bedarfsgerechte Infrastruktur investiert. Sie haben Winterkirchenräume eingerichtet oder schöne Anbauten an die Kirche umgesetzt.

Insgesamt läuft die Umstrukturierung allerdings sehr zögerlich. Warum?

Lemke: Weil es ein schwieriger Entscheidungsprozess ist, der nicht von der Landeskirche vorgegeben werden kann, sondern von den Kirchenkreisen ausgehen muss. Zusammen mit den Gemeinden müssen die Kirchenkreise für sich überlegen: Welche Gebäude können wir abgeben, ohne dass wir Funktionen einbüßen? Kleiner werden und dennoch attraktiv bleiben, das ist möglich, aber nicht leicht zu verwirklichen. Dafür sind viele, manchmal zähe Abstimmungsprozesse notwendig.

Welche Hemmnisse sehen Sie?

Lemke: Keine Gemeinde trennt sich gern von einem großen schönen Haus, in dem es viel Platz und viele Möglichkeiten gibt. Das ist ein schmerzlicher Prozess, zumal es oft emotionale Verbindungen zu den Gebäuden gibt, die veräußert werden sollen. Da beobachte ich bisweilen einen Generationenkonflikt. Während die Jungen für Veränderung plädieren, möchten die Älteren eher bewahren.

Bremst dieser langwierige Umstrukturierungsprozess auch den Klimaschutz?

Lemke: Leider ja. Denn erst, wenn wir wissen, welche Gebäude wir auf jeden Fall behalten wollen, ist es sinnvoll zu investieren, eine klimafreundliche Heizung einzubauen und das Gebäude energetisch zu ertüchtigen. Das machen wir regelmäßig. Vielleicht noch nicht oft genug, aber wir machen es.

Gibt es ein Beispiel?

Lemke: Prominentestes Beispiel ist zurzeit das Kloster Loccum. Dort ertüchtigen wir das Konventsgebäude aus dem Jahr 1780 energetisch. Das heißt: Wir dämmen es von innen, um das Erscheinungsbild des denkmalgeschützten historischen Fachwerkbaus zu erhalten. Innen, vor den historischen Fenstern, wird ein Isolierglasfenster montiert und die oberste Deckenebene des Hauses wird gedämmt. Damit ist die Hülle des Hauses bis auf den historischen Fußboden gut isoliert.

Denkmalschutz bremse den Klimaschutz, heißt es. Stimmt das aus Ihrer Sicht?

Lemke: Denkmalschutz und Klimaschutz können bisweilen konkurrieren, ein wirkliches Problem sehe ich da eher nicht. Bei den vorgenannten Projekten hatten wir immer das Einverständnis der Denkmalpflege. Ganz im Gegenteil, wenn wir die graue Energie mit einbeziehen, sind Baudenkmale mit ihrem langen, bisweilen jahrhundertelangen Lebenszyklus beispielhaft für den Ressourcenschutz.

Was bedeutet graue Energie?

Lemke: Als graue Energie werden die Energieaufwendungen für die Herstellung, den Transport und die Entsorgung der Baumaterialien für ein Gebäude bezeichnet. Der ist bei Neubauten mit einer eher kurzen Lebensdauer – besonders wenn Beton verbaut wird – immens hoch. Deswegen werden wir als Architektinnen und Architekten der Landeskirche uns umstellen und bei neuen Bauprojekten verstärkt mit dem nachwachsenden Rohstoff Holz bauen.

Wenn Gemeinden auf denkmalgeschützten Kirchengebäuden Photovoltaik aufbringen wollen, gibt es häufig Probleme mit dem Denkmalschutz. Wieso?

Lemke: Die staatliche Denkmalpflege sagt uns: Nur drei Prozent der Gebäude in Niedersachsen sind Denkmale. Diese wollen und müssen wir schützen. Diese Gebäude dürfen optisch nicht beeinträchtigt werden. Wenn ihr Photovoltaik realisieren wollt, macht das auf den 97 Prozent, die keine Denkmale sind. Und daran sind wir gebunden.

Ich dachte, die Kirchen wären hier unabhängig?

Lemke: Während wir bei der Umgestaltung von kirchlichen Denkmalen in den Innenräumen relativ frei sind, sind wir bei der Veränderung der äußeren Gestalt von denkmalgeschützten Gebäuden an den staatlichen Denkmalschutz gebunden. Das ist im Loccumer Vertrag von 1955, den die Kirchen mit dem Land Niedersachsen geschlossen haben, und im Denkmalschutzgesetz geregelt. Daher empfehlen wir den Gemeinden für Photovoltaik keine denkmalgeschützten Gebäude, sondern Pfarrhäuser, Kindergärten oder Gemeindehäuser ohne Denkmalstatus zu nutzen.

Sie haben die Fachaufsicht über 8.000 Gebäude der Landeskirche. Die haben alle Heizungen. Ließe sich da etwas machen?

Lemke: Was wir neu verabredet und abgestimmt haben: Kirchengemeinden, die Heizungen erneuern wollen, müssen prüfen, ob der Wechsel zu regenerativen Energieträgern machbar ist. Konkret geht es uns um den Umstieg von Öl- oder Gasheizungen auf Pellet- oder Holzhackschnitzel-Heizungen, um Erdwärme oder Luft-Wärmepumpen. Fernwärme aus Kraftwerken oder Biogasanlagen wäre außerdem denkbar. Letztlich muss vor Ort geklärt werden, ob der Wechsel baulich, technisch und wirtschaftlich realisierbar ist.

Das ist, trotz diverser Fördermöglichkeiten, nicht immer so?

Lemke: Nein, leider. Viele Kirchengemeinden sind umweltbewegt, das nehme ich wahr. Die wollen ihre Heizung klimafreundlich erneuern. Sie stellen jedoch fest: Der Aufwand ist einfach zu groß. Das können wir uns nicht leisten. Statt für neue regenerative Energieträger entscheiden sich manche schließlich schweren Herzens wieder für einen klimaschädlichen Gasbrenner.

Wieso?

Lemke: Es macht einfach einen sehr großen Unterschied, ob ich nur den Brenner austausche oder ob ich mit dem Brenner die gesamte Heizungsanlage erneuern muss, also das komplette System der Wärmeerzeugung und -verteilung.

Und das wird dann zu teuer.

Lemke: Genau. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In großen alten Kirchen wird die kalte Luft oft mittels Gas- oder Ölbrenner erwärmt und über Luftkanäle und Gitter im Fußboden im Kirchenraum verteilt. Wenn ich beispielsweise auf Erdwärme umsteigen will, bräuchte ich aufgrund der geringen Vorlauftemperatur, die Geothermieanlagen liefern, eine Fußbodenheizung für die Wärmeverteilung. Doch der Einbau einer Fußbodenheizung kostet zusätzlich viel Geld.

Gibt es keine Alternative?

Lemke: Die Alternative wäre eine Holzhackschnitzelheizung, mit dieser könnte das bestehende Wärmeverteilungssystem in der Kirche weitergenutzt werden. Hackschnitzel benötigen wiederum viel Lagerfläche. Im Kloster Loccum zum Beispiel haben wir den Platz und beheizen mit der Holzhackschnitzelheizung fast alle Gebäude. An anderen Standorten muss möglicherweise ein neuer Lagerraum gebaut werden. Das heißt: Im Einzelfall muss immer abgewogen werden: Was geht an diesem Standort? Und was ist wirtschaftlich noch darstellbar?

Was können Sie als Baudirektor tun?

Lemke: Überall dort, wo es möglich ist, werden wir die Umstellung von konventionellen Heizungen auf regenerative Energieträger forcieren. Noch fehlen uns Erfahrung und Routine in diesem neuen Themenfeld. Diese werden wir bald haben. Unsere Architekten beschäftigen sich derzeit vornehmlich mit der Instandhaltung und Denkmalpflege, was Ressourcenschutz bedeutet und ebenfalls sehr wichtig ist. Noch sind sie nicht so vertraut mit dem Einsatz von Photovoltaik oder dem Umstieg auf regenerative Heizungsanlagen. Diese Themen werden wir in den nächsten Jahren vertiefen, etwa mit Fortbildungen, um dem Anliegen einen Schub zu verleihen. Denn ohne ein schnelles Umsteuern aller Akteure ist das Zwei-Grad-Ziel von Paris nicht zu erreichen.

In unserem neuen Jahrbuch der Hanns-Lilje-Stiftung widmen wir uns dem Klimawandel, stellen Gelungenes vor und beschreiben anzugehende Herausforderungen. Den Fokus legen wir auf die Landwirtschaft, auf Klimaflucht und Asyl sowie auf den Denkmalschutz. Dabei orientieren wir uns an den drei Förderschwerpunkten der Hanns-Lilje-Stiftung im Dialog mit Kirche und Theologie:

  • die Bedeutung von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft für das Leben,
  • die Zukunft von Politik und Gesellschaft,
  • die bildende Kraft von Kunst und Kultur.

Möchten Sie das Jahrbuch in gedruckter Form lesen? Schreiben Sie bitte eine Mail an info@lilje-stiftung.de. Wir senden es Ihnen gern zu.