Die Preisträger des Hanns-Lilje-Stiftungspreises Freiheit und Verantwortung 2025 in der Kategorie Wissenschaftspreis

Dr. Nicole Kunkel

An ethical evaluation of lethal functions in autoregulative weapons systems
(Dissertation, Eugene, Oregon 2024)

Dr. Nicole Kunkel ist seit 2023 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt Universität zu Berlin – Theologische Fakultät Lehrstuhl für Systematische Theologie (Ethik und Hermeneutik), an dem sie auch ihre Promotion abschloss. Nach einem Volontariat in einem Pflegeheim für Holocaustüberlebende in Israel studierte sie Evangelische Theologie an der Universität Leipzig und der Humboldt Universität zu Berlin. 2013 bis 2014 absolvierte sie ein Studium an der Hebräischen Universität in Jerusalem.

Zitate aus den Laudationes von Prof. Dr. Volker Kirchberg, Vorsitzender des Kuratoriums, und Prof. Dr. Christoph Dahling-Sander:
Ihre Dissertation „An ethical evaluation of lethal functions in autoregulative weapons systems“, Eugene (Oregon) 2024, beschäftigt sich mit ethischen Fragen bei der Entwicklung und beim Einsatz sogenannter autonomer Waffensysteme. Dabei argumentiert sie aus einer „Position, die friedliche Lösungen bevorzugt, aber – zur Wahrung von Rechtssicherheit und als ultima ratio – auch die Möglichkeit bewaffneter Gewalt in Betracht zieht.“

Kunkel kritisiert den Begriff der „autonomen Waffen“ und sieht darin eine „Anthropomorphisierung“. Waffen seien keine menschlichen Wesen, die selbst ethisch verantwortet handeln könnten. Daher schlägt sie vor, von „autoregulativen Waffensystemen“ zu sprechen. Gleichzeitig müsse bedacht werden, dass hochautomatisierte Technik mehr als ein bloßes Werkzeug sei, weshalb sie die Wechselbeziehung zwischen Mensch und Maschine analysiert.

Ihr Fazit mündet in einer dreifachen Kritik an autoregulativen Waffensystemen: 1. Das Risiko, unbeteiligte Menschen zu schädigen, sinke nicht, sondern steige. 2. Nur, wenn die Verantwortung des Waffensystems beim Menschen liege, sei es möglich, Fehler zu minimieren und das System verantwortungsvoll einzusetzen. 3. Theologisch gewendet: Autorregulative Waffensysteme ermöglichten Menschen, sich der Verantwortung und dem Schuldigwerden im Sinne Bonhoeffers zu entziehen, da alles auf die Technik geschoben werden könne.

Damit bietet Dr. Nicole Kunkel eine herausragende Analyse und pointierte materialethische Anregungen inmitten aktueller Kriege. Sie bereichert friedensethische Debatten außerordentlich, weil sie sich mit den Waffensystemen und den ethischen Implikationen der gegenwärtigen Kriegsführung auseinandersetzt. Dass sie dabei ganz im Sinne der Ausschreibung interdisziplinär vorgeht und Diskurse eröffnen möchte, zeigt sich bereits daran, dass die Arbeit in den USA publiziert wurde."

Prof. Dr. Lisanne Teuchert

Die Wiederkehr der Rache. Emotionen, Überzeugungen und Praktiken aus theologischer Perspektive
(Habilitation, Berlin / Boston 2024)

Prof. Dr. Lisanne Teuchert ist seit Oktober 2024 Professorin für Systematische Theologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Nach ihrer Habilitation an der Ruhr-Universität Bochum durchlief sie verschiedene wissenschaftliche Stationen, zuletzt als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Diakoniewissenschaftlichen Institut Heidelberg. Neben ihrem Studium der Ev. Theologie absolvierte sie einen Bachelor of Arts in Soziologie.

Zitate aus den Laudationes von Prof. Dr. Volker Kirchberg, Vorsitzender des Kuratoriums, und Prof. Dr. Christoph Dahling-Sander:
„Die Habilitation Teucherts „Die Wiederkehr der Rache. Emotionen, Überzeugungen und Praktiken aus theologischer Perspektive“, Berlin / Boston 2024, geht von der soziologischen Diagnose aus, dass Rache in der Rhetorik und Praxis gesellschaftliche sowie nationale und internationale Konflikte wieder präge, anders als es Rechtsstaatlichkeit und rationale Organisation des Zusammenlebens erwarten lasse. Teuchert bringt diese Diagnose mit theologischen Deutungen ins Gespräch und widmet sich Rache und Vergeltung auf drei Ebenen (1. Emotionen, 2. Überzeugungen, und 3. Praktiken). Sie identifiziert eine Wende zu Emotionen („emotional turn“), die Renaissance von Vergeltungstheorien und den Bedeutungsgewinn von rächend-vergeltendem Handeln („practical turn“). In allen drei Bereichen platziert sie interdisziplinäre Diskurse.

Theologisch arbeitet sie heraus, dass die „Wiederkehr der Rache“ auf eine vorinstitutionelle Zwischenmenschlichkeit setze, einschließlich einer Dämonisierung. Theologisch verantwortet sei es deshalb angemessen, die Ambivalenz aller Zwischenmenschlichkeit wahrzunehmen, die auch bedeute, Einwände „aus Rache“ und Kränkungserfahrungen ernst zu nehmen und zugleich deren Grenzen aufzuzeigen. Diese theologisch anthropologische Erkenntnis sei darüber hinaus ebenso bei gesellschaftlichen als auch internationalen Konflikten zu bedenken, um nicht vermeintlichen „Tun-Ergehens-Zusammenhängen“ das Feld zu überlassen, sondern stattdessen im Wissen der Ambivalenzen andere Deutungs- und Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen.

Prof. Dr. Lisanne Teuchert legt mit ihrer Habilitation eine exzellente Analyse gesellschaftlicher Entwicklungen vor. Sie interpretiert diese aus theologischer Perspektive und bleibt dabei im Dialog mit anderen Wissenschaften etwas der Soziologie, Anthropologie und Philosophie. Ihre Schlussfolgerungen eröffnen Diskurse, um Polarisierungen im zwischenmenschlichen, innerhalb der Gesellschaft und zwischen unterschiedlichen Traditionen und Kulturen zu bearbeiten. Damit bietet sie theoriebildende Impulse für „die Zukunft von Politik und Gesellschaft“ und bringt das dialogische, interdisziplinäre Anliegen der Hanns-Lilje-Stiftung zur Geltung, gesellschaftliche Wirklichkeit aus theologischer Perspektive zu deuten und zu bereichern.“