Frieden schaffen – mit oder ohne Waffen? Die evangelische Kirche und die Wiederbewaffnung

"Einer Remilitarisierung

können wir das Wort nicht reden, weder was den Westen noch was den Osten anbelangt.“ Mit dieser Stellungnahme wandte sich der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am 27. August 1950 gegen die Wiederaufstellung deutscher Militärverbände. Nach dem Krieg gehörte die EKD zu den wenigen gesamtdeutschen Institutionen. Bis Ende 1960er-Jahre arbeiteten dort Vertreter evangelischer Landeskirchen aus Ost und West zusammen.

Der markante Satz

Aufgrund der Unterstützung von Adenauers Politik der Westbindung und der Wiederbewaffnung Deutschlands wird Hanns Lilje in der politischen Auseinandersetzung als „NATO-­Bischof“ beschimpft. Lilje beim Besuch des Bundeswehr­-Fliegerhorstes Faßberg in der Nähe von Müden an der Örtze. (Foto: Archiv der Hanns-Lilje-Stiftung)

steht am Anfang einer Debatte, die seitdem immer wieder aufgeflammt ist: Welche Haltung soll die Kirche zum Einsatz militärischer Gewalt einnehmen? Erhält man den Frieden mit oder besser ohne Waffen? Damals erfolgte die Eingabe aus aktuellem Anlass: Mit der Aufteilung Europas in eine US-amerikanische und eine sowjetische Einflusszone hatten sich inzwischen die politischen Prioritären verschoben. An erster Stelle stand für die Westalliierten nun nicht mehr die militärische Schwächung Deutschlands, sondern die Eindämmung des Kommunismus. Um dieses Ziel zu erreichen, war auch ein militärischer Beitrag der jungen Bundesrepublik nicht mehr undenkbar. Dem amtierenden Bundeskanzler Konrad Adenauer kam dieser Kurswechsel entgegen. Adenauer, der eine Integration seines Landes in das westliche Militärbündnis anstrebte, ließ bereits früh Überlegungen zur Organisation zukünftiger deutscher Streitkräfte anstellen – ohne sein Kabinett in diese Pläne einzubinden. Für den damaligen Innenminister, Gustav Heinemann, ein Affront. Heinemann, der auch dem EKD-Rat angehörte und zugleich als Präses der EKD-Synode vorstand, trat aus Protest gegen Adenauers Wiederbewaffnungspolitik zurück.

In den kommenden Jahren

sollte er immer wieder sein kirchliches Amt nutzen, um öffentlichkeitswirksam gegen eine Remilitarisierung Deutschlands einzutreten. Der Streit um die Wiederbewaffnung war damit in der Führungsebene der evangelischen Kirche angekommen. Unterstützt wurde Heinemann vom einstigen NS-Widerstandskämpfer und Kirchenpräsidenten Martin Niemöller. Die kirchlichen Wiederbewaffnungsgegner befürchteten eine Vertiefung der deutschen Teilung durch die Aufstellung westdeutscher Streitkräfte. Auf der Gegenseite standen Theologen wie Eberhard Müller, Leiter der Evangelischen Akademie Bad Boll, und Landesbischof Hanns Lilje. Der von beiden mitgegründete Kronberger Kreis, ein evangelisch-konservativer Think-Tank nach amerikanischem Vorbild, unterstützte die Westbindungspolitik Adenauers. Die von Niemöller und dem Schweizer Theologen Karl Barth vertretene Vision eines neutralen, entmilitarisierten Deutschlands lehnten Müller und Lilje ab. Der Kronberger Kreis wandte sich gegen eine theologisch begründete Gegnerschaft zur Wiederbewaffnung: „Die Behauptung, es sei dem Christen gewissensmäßig unmöglich, für einen deutschen Wehrbeitrag zu stimmen oder sich an seiner Verwirklichung zu beteiligen, ist nicht in göttlichen Weisungen begründet“, so der Inhalt einer Denkschrift aus dem Jahr 1952, die Lilje mitunterzeichnete. Ausgetragen wurde der Streit in erster Linie durch einzelne kirchliche Persönlichkeiten. Der Rat der EKD konnte sich – ungeachtet des deutlichen Votums von 1950 – nicht mehr auf eine klare Stellungnahme einigen. Man sei der Überzeugung, „dass allein vom Evangelium her zu dieser Entscheidung bindende Weisungen nicht gegeben werden können“, hieß es 1955. Da waren die Würfel in Sachen Wiederbewaffnung längst gefallen. Im gleichen Jahr trat die Bundesrepublik der NATO bei. Wenig später wurden die ersten Freiwilligen der Bundeswehr vereidigt, ein Jahr darauf die allgemeine Wehrpflicht eingeführt.

1957 unterzeichneten

der EKD-Ratsvorsitzende, Otto Dibelius, Bundeskanzler Adenauer und Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß einen Vertrag über die Militärseelsorge. Die evangelische Kirche hatte damit die Wiederbewaffnung de facto akzeptiert. Der innerkirchliche Streit um den deutschen Wehrbeitrag war beendet. Für Hanns Lilje hatte die Auseinandersetzung auch persönliche Folgen: Sein Eintreten für die Westbindung Deutschlands verhinderte seine Wahl ins höchste Amt der EKD. Die ostdeutschen Kirchen waren nicht bereit, den „NATO-Bischof“ als Ratsvorsitzenden zu akzeptieren. Er selbst beurteilte seine damalige Rolle später anders: „Wir sind in der NATO. Punkt. Ich habe das nicht erfunden, ich habe auch keinen Anlass gefunden, dagegen zu sein.“

Quelle: Jahrbuch 2016 / 2017 der Hanns-Lilje-Stiftung, S. 13, herausgegeben von Prof. Dr. Christoph Dahling-Sander